Hintergrund
Im Münchner Stadtteil Unter-Giesing befindet sich die
Straße Birkenau. Der Name leitet sich von einer
Kleinhaussiedlung ab, die zu ihrer Entstehungszeit eine kleine, von
Wiesen umgebene Häusergruppe war. (Über die
Entstehung dieser Handwerkerhäuser und ihrer
Entwicklungsgeschichte siehe den Text „Die Kleinhaussiedlung Birkenau“).
Zwei dieser ursprünglich einstöckigen
Häuser, nämlich Birkenau 10 und 12, sind im Lauf der
Zeit vielfach umgebaut, verändert, mit kaum erhaltener
historischer Substanz und sind heute sehr baufällig.
Sie wurden vom Design- und Architekturbüro Binnberg erworben. Uwe
Binnberg, selbst in Unter-Giesing aufgewachsen, also mit der
dortigen Stadtsituation verwachsen und gut vertraut, plant auf dem
Gelände familienfreundliche Wohnungen zu errichten.
Bis zum Beginn der Baumaßnahmen stellt er die Häuser
der Öffentlichkeit für verschiedene und
vielfältige Kunstereignisse zur Verfügung und sorgt
zu deren Durchführung auch für eine finanzielle
Ausstattung.
Hiermit führt er ein Konzept fort, das er und Christoph
Nicolaus schon in
drei Vorgängerprojekten erfolgreich realisierten.
Ausstellungskonzept
Ausgehend von der gegebenen Situation, nämlich
daß Altes, bisher Prägendes verschwindet und Neuem
Platz macht, nehmen die Organisatoren Christoph Nicolaus und Dr.
Marietta Schürholz, dies zum Anlaß sich im weitesten
Sinne mit dem Thema "Vergänglichkeit und Werden" zu
beschäftigen.
Dabei umfaßt das Ausstellungskonzept drei Bereiche:
- Eine sich in der Zeit stetig verwandelnde Kunstinstallation. Sie
setzt sich aus Arbeiten von 44 verschiedenen Künstlern in
beiden Häusern zusammen und läßt in einem
aufeinander abgestimmten Zweiwochenrhythmus jeweils ein
verändertes, neues Gesamtbild erscheinen.
- Eine Historische Ausstellung
- Buddhas Banquet - ein gastrosophisches Projekt
Kunstinstallation
Insgesamt stehen 14 verschiedengroße, charakterstarke
Räume zur Verfügung. Künstler, vorwiegend
aus München, nehmen sich einzelne dieser Räume vor
und gestalten sie - auf die Räume und die Gesamtsituation
eingehend - in ihrer ihnen eigenen Art.
Die eingesetzten Medien sind vielfältig: Installations- und
Objektkunst, Film, Video, Fotografie, Zeichnung, Skulptur, Klang- und
Lichtinstallationen.
Dabei regen die Kuratoren (die künstlerische Freiheit
natürlich respektierend) an, sich mit verschwinden und
vergehen, damit einhergehend möglicherweise auch mit Sterben,
Tod und (Wieder-)Geburt zu beschäftigen. Außerdem
erscheint es ihnen interessant in diesem Rahmen eher unscheinbare,
kleine, subtile und zarte Eingriffe vorzunehmen.
Beginn ist am 3. Februar 2011. Hier werden Arbeiten von
dreizehn Künstlern zu sehen sein.
In einer festen Folge von zwei Wochen werden dann immer einige der
schon bestehenden Installationen verschwinden und durch neue , von
anderen Künstlern am gleichen Ort errichteten Installationen
ausgetauscht, während die anderen noch - dann in einem anderen
Zusammenhang - erhalten bleiben. Ein prozessualer Kreislauf kommt in
Gang und eröffnet immer neue, andere, sich wandelnde
Perspektiven und Gesamtansichten. Es kommt demnach am 3.2., am 17.2.,
am 3.3., am 17.3., am 31.3., am 14.4., am 28.4. und am 12.5. zu
Eröffnungen neuer Ausstellungsansichten und am 22.5. zur
Finissage. Am letzten Eröffnungstermin, dem 12.5., werden die
zuerst ausgetauschten Künstler erneut noch einmal ihre Arbeit
präsentieren. Entweder, die gleiche, eine Fortentwickelung von
dieser, oder eine neue, ganz andere Arbeit. Auf diese Weise kommt es zu
einer stetigen Wandlung mit vergehen und werden und jeder
Künstler ist vier Wochen dort zu sehen.
Da die Häuser in besonderer Art mit München verbunden
sind, wird auch ein Schwerpunkt auf Münchner Künstler
gelegt.
Historische Ausstellung
Der Verein „Freunde Giesings e.V.“
wird eine Ausstellung einrichten, die sich mit der Historie sowohl
speziell dieser beiden Handwerkerhäuser und deren
früheren Bewohnern, als auch mit der ehemaligen
Kleinhaussiedlung Birkenau, auseinandersetzt.
Es werden verfügbare Bücher, Fotos, Filme, Schrift-
und Hördokumente, Modelle und andere Objekte, soweit sie
Einblick in die Geschichte des Ortes gewähren können
gezeigt.
Buddhas Banquet
Im ehemaligen Gastraum der bis nach dem Krieg existierenden Wirtschaft
„Fiakerheim“ in der Birkenau 10 (zuletzt
Autowerkstatt) wird kurzfristig eine eingeschränkte
Gastronomie zu den Eröffnungen wiederaufgenommen. "Buddhas
Banquet" ist ein gastrosophisches Projekt von Marietta Schürholz,
das Kunst, Kulinarik und Spiritualität verbindet. Am 5. Mai
findet hier ein Vortrag von Prof. Harald Lemke aus Hamburg zum Thema
„Philosophische Überlegungen zum Verhältnis
von Kochen und Kunst“ statt.
Beteiligte Künstler
Frank Balve &
Nico Kiese, Frank&
Julika Meyer, Stefan
Moritz Becker,
Antoine Beuger & Sylvia Alexandra Schimag, Birthe Blauth, Annegret Bleisteiner
& Annette Krebs, Burkard
Blümlein, Christoph
Brech, Michèle
Brody, Carlotta
Brunetti, Almut
Determeyer, Afra
Dopfer, Jürg
Frey, Geraldine
Frisch, Tom
Früchtl, Isabel
Haase, Nausikaa
Hacker, Iris
Häussler, Sabine
Haubitz + Stefanie Zoche, Barbara
Held, Michael
Hofstetter, Nicolas
Humbert & Werner Penzel, Marcus Kaiser, Simone Kessler,Bülent
Kullukcu; Christoph
Nicolaus, Jan Ott,
Helena Pho Duc, Michael Pisaro, Susanne Pittroff, Christoph Scheuerecker,
Michael
Schrattenthaler, Marietta
J. Schürholz, Stephanie
Senge, Misa
Shimomura , Gisbert
Stach, Rose Stach,
Stefanie Unruh, Carmela Uranga, Nikolai Vogel + Silke
Markefka, Katharina
Weishäupl, Johannes
Wende, Manfred
Werder, Patricia
Wich,
Die Kleinhaussiedlung
Birkenau
(Herausgeber: Fachbereich Architektur der FH München.
Die Dokumentation, die alle noch vorhandenen Häuser mit
Plänen, Fotos, Baubeschreibung, Baugeschichte genau
untersuchte, entstand als Aufgabe des Lehrgebiets Denkmalpflege im WS
1978/79)
Folgender Einleitungstext hieraus ist von Ruth Bölle:
Lage und Entwicklung
Die Birkenau liegt im Münchner Stadtteil Giesing, ihre
Geschichte verläuft daher auch identisch mit der von
Giesing. Die Birkenau beginnt an der Freibadstraße, schneidet
die Obere- und die Untere Weidenstraße und endet unterhalb
des Eisenbahndammes in der Nähe des Hans Mielich Platzes. Ein
Großteil der untersuchten Objekte liegt an der
Straße, die heute noch den Namen der Siedlung trägt
und an der Oberen Weidenstraße.
Giesing ist ein gutes halbes Jahrhundert älter als
München. Ca. 500 - 700 n. Chr. gründete Kyeso, das
Oberhaupt einer bajuwarischen Sippe das Dorf Kyesinga - im Laufe der
Zeit entwickelte sich daraus der heutige Name Giesing. Neben der
ursprünglich rein bäuerlichen Bevölkerung
siedelten sich in den folgenden Jahrhunderten immer mehr
Gewerbetreibende in Giesing an, da es vielen von ihnen nicht
möglich war, sich wegen der strengen Zulassungsbedingungen in
der Residenzstadt München niederzulassen. Dies hatte zur
Folge, daß es bald zu Streitigkeiten mit den
Münchner Zünften kam, denn die Bevölkerung
des Vorortes war auf Arbeit in und aus München angewiesen.
Mit dem Versuch im Jahre 1724 Giesing, Haidhausen und die Au
einzugemeinden erhoffte man sich eine Lösung der herrschenden
Schwierigkeiten und Mißstände. Dies scheiterte
jedoch wegen der Verschiedenheit der Gerichte und der
gutsherrlichen Rechte. Es sollte noch über einhundert Jahre
dauern, bis nach langen Verhandlungen am 1. Oktober 1854 die
Eingemeindung in Kraft trat.
Im Jahre 1840 stimmten die beiden städtischen Kollegien der
Eingemeindung der Au unter der Bedingung zu, daß gleichzeitig
auch Haidhausen und Giesing eingemeindet wurden. Vier Jahre
später kamen der Regierung dann Bedenken, und auf
allerhöchste Entschließung ließ man die
Frage der Vereinigung auf sich beruhen.
Zu dieser Zeit, nämlich 1840 bis 1845, wurden die meisten
Häuser der Birkenau gebaut. Man nannte das Gebiet damals
Birkenau Lohe, bei den Pfaffenhäusern. Vor der Bebauung war
dies eine große, teilweise mit Birken bewachsene
Wiesenfläche zwischen dem Auermühlbach und der Isar.
Aus dem Wildwuchs entstand später eine Baumkultur. Bei drei
der untersuchten Objekte, Birkenau 17, Obere Weidenstraße 2
und 4, wurde festgestellt, daß im Jahre 1841 ein Herr
Wolfgang Wiensberger, Gutsbesitzer, unbebauten Wiesengrund als als
Bauplatz verkauft hatte. Die Eigentümer hatten sich bei der
Bebauung ihrer Grundstücke an folgenden
Regierungsbeschluß vom 24. Juli 1840 zu halten: es
mußten je zwei Häuser zusammengebaut werden, jedes
Haus sollte nur ein Stockwerk erhalten und drei Fenster in der
Straßenlinie bekommen. Zwischen den Häusern
mußte ein Abstand von 30 Fuß eingehalten werden.
Außerdem waren die Besitzer verpflichtet, die
Straße und das Trottoir mit herzustellen. Dies
führte natürlich zu Schwierigkeiten. Folgender
Briefwechsel soll dies zeigen:
Brief der Siedlung Birkenau an die Gemeindeverwaltung
"Wir ergebenst Unterzeichnete Gemeindemitglieder der Kolonie
Birkenau sehen uns nothgedrungen, dringenst um Herstellung des ehemaligen
Geh- und Fahrweges von Birkenau bis zur Loh zu bitten. Dieser
sogenannte Weg liegt schon seit 1 1/2 Jahr verwahrlost, und so tief
gegen die anstoßenden höher liegenden Wiesen,
daß er bey Regen und Schnee nur einem Wassergraben
gleicht, des Tages nur mit Vorsicht, des nachts aber gar nicht zu
passiren ist.
Der Schmutz ist bey dermaligen Wetter über Schuh
tief, und wir bitten daher, uns nicht ganz und gar versinken
zulassen, zumal auch kleine Kinder bis zur Schule
nach Giesing durch diesen Weg watten müssen.
Wenn wir gleich meistens arme Tagelöhner sind, so
wird man uns doch neben der harten Arbeit einen Weg zukomen lassen,
daß wir unsere Kreutzer dem Wirth, Metzger, Bäcker
etc. in Giesing zu lösen geben können.
Einer hohen Gemeindeverwaltung ergebenst:
Birkenau den 25. Oktober 1842."
Das Landgericht Au antwortete auf die Beschwerde mit einem
Beschluß vom 14. März 1843, der besagte,
daß die Anwohner in Zukunft dafür zu sorgen
hätten, daß die Straße in einem fahrbaren
Zustand sei.
Am 25. September 1854 kam es schließlich zu einer
Vereinigung Giesings mit München. Die Eingemeindung hatte zur
Folge, daß im April 1856 alle Häuser Giesings in 38
Straßenzüge zusammengefaßt wurden und neue
Hausnummern bekamen.
Seit diesem Zeitpunkt unterscheidet man eine Innere und
Äußere Birkenau. Im Gegensatz zur Inneren Birkenau,
die nur auf die Siedlung begrenzt ist, führt die
Äußere Birkenau bis zur heutigen
Entenbachstraße in der Au.
Ein Plan der Vorstadt Giesing, bearbeitet und herausgegeben
von Gustav Wenng, ca. 1860/65 zeigt die Lage des Untersuchungsgebietes
zu Giesing. Eine Ausschnittvergrößerung
läßt die Birkenau deutlich erkennen. Sie war damals
noch in ihrem ursprünglichen Zustand: eine in sich
geschlossene Siedlung, die außerhalb der Vorstadt Giesing
inmitten der Felder lag. Zu jedem der Häuser, die wegen einer
baulichen Verordnung aus dem Jahre 1840 fast alle gleich aussehen,
gehört ein Gartenanteil, der 1860 bei einigen Häusern
schon mit Stallungen und sonstigen Gebäuden bebaut war. Dieser
Gartenanteil wurde von den meisten Bewohnern für gewerbliche
Zwecke genützt, denn sie waren fast ausschließlich
Gänsemäster, Geflügelhändler und
Fiaker.
Ein Plan von München und Umgebung, etwa aus dem Jahre
1873, zeigt die Birkenau im Norden des Bahndammes. Die Häuser
sind nur summarisch angegeben, die Siedlung wird bezeichnet mit
"Pfaffenhäuser".
Im Laufe der Zeit hat sich das Bild der Siedlung sehr
verändert. Zum Teil hat man die Häuser abgerissen und
durch artfremde ersetzt, oder man hat sie auf eine Art und Weise
modernisiert, daß von der ursprünglichen Substanz
nicht mehr viel zu sehen ist.